[Event "?"] [Site "?"] [Date "????.??.??"] [Round "?"] [White "Reti"] [Black "?"] [Result "*"] [ECO "A09"] [PlyCount "36"] [SourceDate "2012.03.28"] {Auf vielfachen Wunsch werde ich heute einen Abstecher in die "Flankengefilde" machen und mich mit der so genannten "Réti-Eröffnung" beschäftigen, die entsteht nach...nun ja, wonach eigentlich? So ganz genau kann man das nämlich gar nicht sagen, höchstens vielleicht mit den Worten meines ersten Lehrers. Er meinte damals auf meine Frage, was Réti denn genau sei, nämlich recht treffend: "Irgendwas mit Springer nach f3". Vielleicht könnte man es so umschreiben: Réti ist ein Aufbau mit weißem Springer f3, Läuferfianchetto auf g2 und Bauern auf c4, der in der Regel auf d2-d4 verzichtet.} 1. Nf3 d5 2. c4 d4 $1 {Manch einer von Euch mag sich jetzt vielleicht über mein Ausrufezeichen nach 2...d4 wundern - ist dieser Zug so stark oder ist das tatsächlich die beste Erwiderung des Schwarzen auf 2.c4? Das weiß ich natürlich nicht. Aber es ist zumindest die prinzipiellste Entgegnung des Nachziehenden. Zum einen wird dem Weißen jeglicher Übergang zu anderen, Vorteil versprechenden Varianten verbaut: Auf 2..e6 oder 2...c6 könnte Weiß mit 3.d4 ins orthodoxe Damengambit, Slawisch oder Katalanisch überleiten, auf 2...dxc4 mit 3.e3 ins Angenommene Damengambit. Der Textzug dagegen führt in den meisten Varianten zu einem Alt-Benoni (1.d4 c5 2.d5 Sf6) mit vertauschten Farben - und es sollte mich wundern, wenn diese an sich schon anrüchige Eröffnung mit einem Tempo mehr plötzlich zum Vorteil gereichen würde.} 3. b4 {Noch der beste Versuch, das weiße Mehrtempo irgendwie sinnvoll zu nutzen. Weiß strebt eine Benoni-Struktur an und führt den in dieser Struktur erstrebenswerten Zug b2-b4 bereits jetzt aus. Das macht Sinn, aber mehr auch nicht, wie wir gleich sehen werden. Andere Züge bzw. Aufbauten versprechen ebensowenig etwas:} (3. c5 $6 {ist ein nicht besonders guter Versuch, kreativ zu spielen und dabei Verwirrung zu stiften. Weiß erobert Raum am Damenflügel und hat in einigen Varianten Tricks mit Da4+ und Angriff auf d4.} Nc6 (3... e5 $5 {mit der Idee, auf schnelle Entwicklung zu setzen, z.B.} 4. Nxe5 Bxc5 5. b4 Bd6 6. Qa4+ (6. Nf3 Bxb4) 6... c6 7. Nf3 Nf6 8. Bb2 Bd7 9. Qc2 a5 10. bxa5 c5 $15) 4. Qa4 Bd7 5. Nxd4 e5 6. Nxc6 Bxc6 7. Qc4 (7. Qc2 Qd4) 7... Qd4 8. Qxd4 exd4 9. b4 {Die folgenden weißen Züge sind alle erzwungen, sonst erobert Schwarz den Bauern einfach zurück und steht besser} a5 10. Bb2 axb4 11. Bxd4 Nf6 $1 {Idee Se4 oder Sd7 mit Gewinn von c5} 12. a3 (12. Bxf6 gxf6 13. d4 Be4 14. Nd2 Bc2 {und die Drohung b4-b3 zwingt Weiß dazu, mit Tc1 den Bauern a2 aufzugeben}) 12... b3 13. d3 Nd7 $15) (3. g3 {ist der wohl logischste Ansatz: Weiß spielt analog zur Benoni-Verteidigung und hofft, nach schwarzem c7-c5 früher oder später sein Mehrtempo zur Geltung zu bringen. Doch auch hier profitiert der Nachziehende davon, dass er c7-c5 eben noch nicht gespielt hat. Statt dessen spielt Schwarz wie in der Variante mit 3.e3 auf Figurendruck und schnelle Entwicklung} Nc6 $1 4. Bg2 e5 5. d3 Bb4+ {Ein unscheinbares und doch sehr starkes Zwischenschach, das den Anziehenden dazu zwingt, eine Entscheidung zu treffen, auf die er liebend gern verzichten würde. Die Idee des Zuges ist folgende: In dieser Struktur ist der wichtigste weiße Plan der Raumgewinn am Damenflügel mittels b2-b4. Dieser Zug lässt sich jedoch nicht so ohne weiteres durchsetzen, denn Schwarz kann b4 ohne Mühe mindestens drei Mal kontrollieren: Mit dem schwarzfeldrigen Läufer, dem Springer c6 und dem Bauern a5. Das bedeutet, dass es nicht ausreichen wird, wenn Weiß einfach a3 und Turm b1 spielt - er benötigt mindestens die Unterstützung einer weiteren Figur, um b2-b4 durchzusetzen. Das bedeutet, dass Weiß das Manöver Sa3-c2 durchführen sollte, um b4 einmal mehr zu überdecken. Daraus folgt, dass Weiß das Schach auf b4 nur schlecht mit dem Springer decken kann, denn dann würde dieses Pferd nicht mehr nach a3 gelangen. Auf 6.Sbd2 spielt Schwarz einfach a7-a5, beendet seine Entwicklung, verstärkt seine Kontrolle im Zentrum und bereitet Vorstöße wie f7-f5 und/oder e5-e4 vor. Deckt Weiß das Schach dagegen mit 6.Ld2, so spielt Schwarz 6...a5! 7.0-0 Sf6 8.Sa3 0-0 9.Sc2 Lc5! mit der Idee De7 oder Dd6 und es wird abermals schwierig für Weiß, b2-b4 durchzusetzen: Spielt der Anziehende a3 und Tb1, muss er mit der Blockade a5-a4 rechnen. Verhindert Weiß dies wiederum mit b2-b3, dann kann er Tb1 nicht mehr spielen, weil der Bauer a3 hängt... . Bleibt also noch} 6. Nfd2 {Dieser Zug hat keinen der genannten Nachteile, kostet aber einfach Zeit - der Springer kann auf d2 nicht ewig stehenbleiben, da er den Lc1 blockiert. Schwarz hat leichten Ausgleich nach} ( 6. Nbd2 a5 7. O-O Nf6 8. a3 Be7 $11) (6. Bd2 a5 7. O-O Nf6 8. Na3 O-O 9. Nc2 Bc5 $1) 6... a5 7. Na3 Nf6 8. Nc2 Be7 9. a3 O-O 10. O-O {und nun gefällt mir Kortschnois} Nd7 {am besten. Schwarz droht, den Damenflügel mit Sc5 und a5-a4 lahmzulegen; gleichzeitig erschwert ein Springer auf c5 ein weißes b2-b4, da darauf axb4 nebst Sa4-c3 folgen könnte. Nach dem weiteren} 11. b3 Nc5 12. Rb1 Bg4 13. Ne4 Na6 14. f4 exf4 15. Rxf4 Be6 16. Qe1 f5) (3. e3 {war lange Jahre der Hauptzug in dieser Stellung. Die weiße Idee besteht darin, auf das natürliche 3...c5 entweder mit 4.exd4 nebst d3, g3, Lg2 und 0-0 ein modernes Benoni mit Mehrtempo und durchaus Chancen auf Vorteil zu spielen oder mit 4. b4!? eine chancenreiche Version des Blumenfeld-Gambits (das "normalerweise" nach 1.d4 Sf6 2.c4 e6 3.Sf3 c5 4.d5 b5 entsteht) aufs Brett zu bekommen. Doch wie so oft in Eröffnungen, die mit vertauschten Farben gespielt werden, ist das Mehrtempo des Anziehenden auch mit Nachteilen behaftet. Hier kann Schwarz von dem Umstand profitieren, dass er noch nicht c7-c5 gespielt hat:} Nc6 $1 { Schwarz kontrolliert das Feld d4 mit Figuren und nutzt die Zeit, die der Anziehende benötigt, um die Blockade zu brechen, für seine Entwicklung, z.B.:} 4. exd4 Nxd4 5. Nxd4 Qxd4 6. Nc3 c6 7. d3 {Jetzt noch 8.Le3 und d4 und Weiß hat Vorteil, oder? Prinzipiell ja, jedoch hat Schwarz nun den starken Zug} Nh6 $1 {Die Idee ist so einfach wie genial: Schlägt Weiß auf h6, gibt er das Läuferpaar auf und kann den Vorstoß d3-d4 praktisch für alle Zeiten vergessen. Der auf g7 auftauchende schwarze Läufer dagegen würde das ganze Brett dominieren. Schlägt Weiß dagegen nicht und bleibt bei seinem Plan, gelangt der schwarze Springer nach f5 und nimmt das weiße Zentrum unter Beschuss. Nach dem weiteren} (7... e5 8. Be3 Qd8 9. d4 exd4 10. Qxd4 $11 {ist ebenfalls möglich und bestenfalls marginal besser für Weiß, aber der Textzug ist stärker}) 8. Be3 Qd8 9. d4 Nf5 10. Qd2 g6 11. Be2 Bg7 12. Rd1 O-O 13. O-O Qa5 {ist die Stellung wahrscheinlich noch ausgeglichen, aber ich hätte trotzdem lieber Schwarz.}) 3... f6 $1 {Es hat mich selbst ein wenig überrascht, dass dieser Zug wohl der stärkste ist. Dabei ist er durchaus logisch - Schwarz begegnet den weißen Flankenangriff schnellstmöglich mit einem Gegenstoß im Zentrum.} 4. e3 { Natürlich! Weiß hat keinerlei Aussichten auf Vorteil, wenn er dem Nachziehenden im Zentrum freie Hand lässt.} e5 $1 {Die Pointe, ohne die der schwarze Aufbau nicht spielbar wäre} 5. c5 {Danach wird es sehr scharf, aber Weiß hatte keine echte Wahl, wenn er auf Vorteil spielen wollte} (5. a3 c5 6. bxc5 Nc6) (5. Qb3 c5 6. bxc5 Nc6) (5. Bb2 dxe3 6. fxe3 Bxb4 {gibt m.E. keine ausreichende Kompensation}) ({Das ebenso logische wie erstrebenswerte} 5. exd4 $6 {scheitert nun nämlich an} e4 {und Weiß wäre bereits in Schwierigkeiten, z. B. nach} 6. Nh4 ({oder} 6. Qe2 Qe7 7. Ng1 Nc6) 6... Qxd4 7. Nc3 e3) {Mit dem Textzug schützt Weiß einerseits seinen bedrohten Bauern auf c4, öffnet aber andererseits auch die geschwächte Diagonale a2-g8 für Dame oder Läufer. Da einfach 6.Lc4 mit Vorteil droht, muss Schwarz energisch spielen.} 5... a5 $1 { Wie so oft: Wo die Schwäche ist, da setzt man an, um Gegenspiel zu erlangen. Und der schwache Punkt im weißen Lager ist eindeutig das Bauernduo b4/c5. Weiß muss nun auf Taktik setzen, denn er kann die Kette nicht mehr erhalten und zögerliches Spiel würde ihn schnell in Nachteil bringen.} 6. Bb5+ {Ein cleveres Schach, dessen Pointe es ist, dem schwarzen König(!) das Feld c6 zu nehmen} (6. Bc4 {ist ähnlich zur Hauptvariante, erlaubt jedoch das einfache} axb4 $1 7. Nxe5 fxe5 $1 8. Qh5+ Kd7 9. Bxg8 (9. Qf5+ {scheitert hier an} Kc6 10. Qxe5 Bxc5 {wonach Schwarz gewinnen sollte}) 9... Bxc5 10. Bc4 Nc6 11. O-O Qe8 {Die Stellung ist unklar, aber mit seinem Mehrbauern und der Zentrumskontrolle steht Schwarz hier sicherlich besser}) (6. Nxe5 {führt wohl zum Remis, aber wenn Schwarz will, kann er auch weiterpielen} fxe5 7. Qh5+ Kd7 8. Qf5+ Ke8 {und Weiß muss auf h5 und f5 "schaukeln} 9. Qh5+ Kd7 10. Qf5+ Ke7 { wenn Schwarz gewinnen will, kann er auch das versuchen} 11. Qxe5+ Be6 12. Bc4 Qd7 13. b5 {mit unklarem Spiel}) 6... c6 ({Wer die folgenden Komplikationen vermeiden möchte, kann hier vielleicht auf die Computerempfehlung 6...Sc6!? zurückgreifen.} 6... Nc6 7. exd4 e4 8. d5 Nge7 9. dxc6 bxc6 {und Schwarz scheint gut zu stehen}) 7. Bc4 axb4 {Trotzdem! Schwarz muss aber jetzt genau wissen, was er tut.} 8. Nxe5 $1 Nh6 $1 {Erzwungen} (8... fxe5 $2 9. Qh5+ Kd7 10. Qf5+ Kc7 11. Qxe5+ Kd7 12. Be6+ {würde verlieren, weil Schwarz auf Df5+ nicht nach c6 ausweichen kann - eine Folge des 6. weißen Zuges!}) 9. Nd3 (9. Nf3 Bxc5) (9. Qh5+ $2 g6 10. Nxg6 Bg4 $19) 9... Bf5 10. O-O dxe3 11. dxe3 Nd7 12. e4 Bg4 13. Qc2 (13. f3 $2 Nxc5 $1) 13... Nxc5 {In dieser unaufgeräumten Stellung scheinen die schwarzen Chancen keinesfalls schlechter zu sein, z.B.} 14. Bxh6 Nxd3 15. Bxd3 Qd4 16. Nd2 Rd8 17. Bc4 gxh6 18. Nb3 Qc3 {mit schönem Spiel für den Nachziehenden dank seines Läuferpaars und dem Mehrbauern} *