[Event "?"] [Site "?"] [Date "2012.05.25"] [Round "?"] [White "1.d4 d5 Damenbauer"] [Black "?"] [Result "*"] [ECO "D00"] [Annotator "Marc Lang"] [PlyCount "22"] [SourceDate "2012.03.28"] {In den bisherigen 3 Lektionen haben wir lediglich Stellungen betrachtet, in denen Schwarz auf 1.d4 mit Sf6 geantwortet hat. Heute möchte ich die Positionen betrachten, die entstehen, wenn der Nachziehende auf Sf6 zunächst verzichtet und stattdessen sofort 1...d5 zieht.} 1. d4 d5 (1... Nf6 2. Nf3 g6 3. e3 Bg7 4. Bd3 (4. c4 O-O 5. Nc3 (5. Bd3 d5 6. cxd5 Nxd5 $11) 5... d5 $11) 4... O-O 5. O-O d6 6. Nbd2 Nbd7 7. c3 e5 $11) 2. Bg5 {Nun ja. Kann man natürlich spielen, keine Frage. Ob es freilich auch gut ist und Sinn macht, steht auf einem anderen (oder auch auf keinem) Blatt. Der aus meiner Sicht einzige Vorteil dieses Zuges besteht wohl darin, dass er einen unerfahrenen Gegner verwirren könnte. Aber wer die bisherigen Lektionen aufmerksam verfolgt hat, dürfte wohl kaum noch zu dieser Gruppe gehören. Kehren wir zu altbewährten Methode zurück, uns zuerst die Nachteile dieses Zuges anzusehen, ehe wir die korrekte Antwort darauf ausbrüten. Sie sind eigentlich dieselben wie bei fast allen Damenbauernspielen mit früher Entwicklung des Lc1: b2 wird geschwächt und der Läufer bisweilen zum Angriffsziel. Da er darüber hinaus auf g5 auch drohungs- und arbeitslos ist, sollten dem Schwarzen die nächsten Züge leichtfallen:} (2. Bf4 {Eine weitere legale Möglichkeit des Weißen, fast alle theoretischen Fahrwasser zu umschiffen, allerdings verdientermaßen auf Kosten der Hoffnung auf einen brauchbaren Eröffnungsvorteil. Um diesen zu erlangen ist Lf4 schlichtweg zu drucklos; Schwarz hat völlig freie Hand und muss nicht einmal das für d4/d5-Positionen typische Spiel gegen sein Zentrum befürchten. So gesehen gibt es eine ganze Reihe von Zügen, die dem Nachziehenden Ausgleich versprechen, aber um beim Thema dieser und der vergangenen Lektionen zu bleiben, konzentrieren wir uns auf...} c5 {Natürlich sind hier auch Züge wie 2...c6, 2...Sf6 oder sogar 2...g6 möglich, aber der Textzug versucht, direktes Kapital aus der frühen Läuferentwicklung zu schlagen.} 3. e3 (3. c3 {ist möglich, aber auch nicht besonders ambitioniert} Nc6 {oder 3...cxd4 4.cxd4 Sc6 mit Übergang zu einer Position der nicht sonderlich gefährlichen Slawischen Abtauschvariante, die üblicherweise nach 1.d4 d5 2.c4 c6 3.cxd5 cxd5 4.Lf4 Sc6 entstehen würde} 4. e3 Qb6 5. Qb3 c4 $1 6. Qc2 (6. Qxb6 axb6 7. e4 (7. Na3 $2 e5 8. Nb5 Ra5 $17) 7... e6 8. g3 b5 9. Nd2 b4 $11) 6... Nf6 $1 ({das thematische} 6... Bf5 7. Qxf5 $1 Qxb2 8. Qxd5 Qxa1 9. Qb5 {ist sehr zweischneidig}) 7. Nd2 (7. Nf3 Bf5 8. Qc1 Nh5 $15) 7... Nh5 {wie so oft das Thema Läuferjagd...} 8. Bg5 h6 9. Bh4 g5 10. Be2 Ng7 {ein Motiv, das wir schon in der vorigen Lektion kennengelernt haben - der Springer federt zurück, um gleich auf f5 wieder aufzutauchen} 11. Bg3 Nf5 12. Ngf3 Bg7 $11) 3... Nc6 (3... Qb6 {ist möglich, trifft aber wie so oft, wenn Weiß c7 kontrolliert, auf die Entgegnung 4.Sc3, wonach Schwarz wegen Sb5 nicht auf b2 schlagen darf.} 4. Nc3 e6 $6 5. Bxb8 Rxb8 6. Bb5+ {wäre unangenehm für Schwarz}) 4. Nf3 {4.c3 führt zur Stellung nach 3.c3} Bg4 {Solide und gut. Schwarz bringt seinen Damenläufer heraus und lässt e6 folgen} 5. Be2 e6 6. O-O Nf6 7. Nbd2 Bd6 {(oder Le7) mit Ausgleich}) (2. Nf3 Nf6 3. e3 {Von allen Damenbauernspielen ist das Colle-System aus meiner Sicht das schwächste System. Weiß sperrt sich bereits im 3. Zug seinen schwarzfeldrigen Läufer ein und hofft anschließend mit einem ebenso dumpfbackigen wie leicht vorhersehbaren Aufbau à la Ld3, Sbd2, c3 (oder b3, Lb2), 0-0 und dann "irgendwie halt" eine dieser Angriffspartien zu gewinnen, die man in den Büchern findet und in denen die Verteidigung des Nachziehenden meist unentschuldigt gefehlt hat. Ich kann jedem (und v.a. jedem Jugendlichen) nur dringend abraten, solche Systeme regelmäßig mit Weiß zu spielen - einerseits verführt die immer gleiche Schablone zu oberflächlichem Spiel, andererseits ist die Spielstärke oft ein Spiegel dessen, wie viele verschiedene Positionstypen man beherrscht. Und wenn man ständig dasselbe spielt, wird man daher fast zwangsläufig früher oder später stagnieren. Schließlich noch ist Colle schlicht und ergreifend keine gute Eröffnung und gibt dem Nachziehenden Dutzende Wege in die Hand, das Spiel leicht auszugleichen und im Gegenteil dem Weißen sogar frühzeitig Probleme zu stellen, wenn er zu schablonenmäßig agiert. Immerhin: Gegen 1...d5 ist das Colle-System noch einigermaßen spielbar, was in erster Linie daran liegt, dass Weiß häufig noch ins Slawisch oder in Varianten des Angenommenen Damengambits überleiten kann. Weit weniger sinnvoll ist Colle dagegen gegen königsindische Muster, man sehe: 1.d4 Sf6 2.Sf3 (bereits grenzwertig ist 2.e3 g6! 3.f4?! Lg7 4.Sf3 d6 - es ist nur eine Frage der Zeit, bis Schwarz mit e7-e5 die Mitte zu seinen Gunsten öffnet) g6 3.e3 Lg7 und was jetzt? Das logische 4.Ld3 erlaubt es dem Nachziehenden, der seinen d-Bauern noch nicht erklärt hat, e7-e5 anzustreben, wonach Weiß wegen der Drohung e5-e4 früher oder später ein Tempo verlieren muss. Spielt Weiß dagegen einen Aufbau mit c2-c4, kann Schwarz entweder e7-e5 anstreben oder früher oder später mit d7-d5 in eine bequeme Variante des Grünfeld-Indisch überleiten, z.B. nach 4.c4 0-0 5.Sc3 d5, was leichten Ausgleich verspricht.} g6 {Die meisten anderen Züge ermöglichen es dem Weißen, noch nachträglich in "bessere" Eröffnungen zu wechseln. Beispielsweise erlaubt 3...c6 den Übergang ins Slawisch mit 4.c4! und selbst das aktive 3...c5 leitet nach 4.c4! wahrscheinlich ins Angenommene Damengambit oder sogar ins Caro-Kann über: Nach 4...cxd4 5.exd4 g6 6.Sc3 Lg7 haben wir eine bekannte Stellung aus dem Panow-Angriff, die normalerweise über 1.e4 c6 2. d4 d5 3.exd5 cxd5 4.c4 Sf6 5.Sc3 g6 6.Sf3 erreicht wird. Der Textzug ist ein Versuch, in Grünfeldindische Positionen überzuleiten, wo der Zug e3 nicht besonders gut hineinpasst.} 4. c4 {Noch am ambitioniertesten. "Normale" Aufbauten im Stile des Colle sind hier einfach zu zahnlos} (4. Bd3 Bg7 5. O-O O-O 6. Nbd2 (6. b3 c5 7. Bb2 cxd4 8. exd4 Nc6) 6... c5 7. c3 Nbd7 8. Re1 Qc7 9. e4 cxd4 10. cxd4) 4... Bg7 5. cxd5 {Die einzige Möglichkeit, irgendwie Kapital aus der schwarzen Zugfolge zu schlagen. Nach} (5. Nc3 O-O 6. Be2 c5 {geht das Spiel in die Grünfeld-Indische Verteidigung über, mit dem harmlosen weißen Zug e3}) 5... O-O 6. Be2 {Besser als das scheinbar aktivere Ld3, da der Läufer auf d3 die Deckung von d4 schwächt und später die Fesselung Lg4 ermöglicht.} Nxd5 7. O-O {7.Sc3 gibt Schwarz die Möglichkeit zu 7...c5 mit Ausgleich.} Nb6 { Vermutlich am Besten. Der schwarze Springer federt zurück, um nicht von e3-e4 mit Tempogewinn angerempelt zu werden. 7..Sc6?! wäre schwächer wegen 8.e4 nebst 9.d5 mit weißem Vorteil.} 8. Nc3 Nc6 9. h3 ({Weiß ist in einer Art "kleinem Zugzwang" - da e3-e4 nicht möglich ist und} 9. d5 Bxc3 10. dxc6 Bg7 { nichts einbringt, kann er seine Stellung nicht so recht verstärken}) 9... a5 { Gefällt mir persönlich am besten. Schwarz wartet einfach mal ab, wie Weiß seinen Damenflügel zu entwickeln gedenkt und gewinnt dort vorsorglich schon einmal ein bisschen Raum. Darüber hinaus erschwert der Nachziehende die semi-natürliche Entwicklung des weißen Problemläufers über b2 - auf 10.b3 würde nun a4 folgen.} 10. Re1 a4 11. Bb5 {was sonst...} a3 12. bxa3 e5 13. Bxc6 exd4 14. exd4 bxc6 {mit einer sehr dynamischen, aber wohl ausgeglichenen Stellung in Shengelia-Rustemov, Bundesliga 2008/09}) 2... h6 $1 {Natürlich. Wenn der Randbauernzug zu keiner dauerhaft nachteiligen Schwächung führt (und das tut er in dieser frühen Phase sicherlich nicht) und der Läufer keine guten Schlagoptionen (etwa einen Springer auf f6), dann ist es fast immer eine lohnende Option, einen auf g5 stehenden Läufer mit h7-h6 abzudrängen. Auf h4 steht er nämlich in der Regel um einiges schlechter: Er verliert den Kontakt zu der Diagonale a5-e1 und zum Punkt b2, wird anfällig gegen Abtauschoptionen (wie wir noch sehen werden, kann Schwarz zu einem späteren Zeitpunkt das Manöver Se7-f5 anstreben) und in einigen Varianten sogar zur taktischen Schwäche.} 3. Bh4 c6 ({Natürlich ist hier auch das thematische c7-c5 möglich, aber so ganz klar ist die Sache nicht, z.B.:} 3... c5 4. dxc5 Qa5+ 5. Nc3 e6 6. e4 dxe4 $140 $4 (6... g5 7. Bg3 dxe4 $4 8. Bxb8 $1 Rxb8 9. Bb5+ Ke7 10. Qd6+ Kf6 11. Qxf8 $18) 7. b4 Qc7 8. Nb5 Qd7 9. Qxd7+ Kxd7 10. Rd1+ {mit zu starkem Angriff}) 4. e3 ({Nach} 4. Nf3 Qb6 5. b3 Nd7 6. e3 e5 7. Bg3 (7. dxe5 Nxe5 8. Nxe5 $140 Qb4+) 7... e4 8. Ne5 Qa5+ $5 9. c3 (9. Nd2 Ba3) 9... Ne7 {mit der schönen Idee Sf5 nebst Läuferverhaftung hat Weiß sicherlich keinen Vorteil}) 4... Qb6 5. Qc1 (5. b3 {ähnlich, schwächt aber zusätzlich den Damenflügel} e5 6. Nf3 (6. dxe5 $4 Qb4+) 6... e4 7. Nfd2 Ne7 {gleicht Schwarz locker aus. Nett ist die Variante} 8. f3 $5 c5 9. c3 cxd4 10. cxd4 Nf5 11. Bf2 exf3 12. Qxf3 Qc6 $15 {und plötzlich hat Weiß Schwierigkeiten, seinen Damenflügel sinnvoll zu decken}) 5... e5 6. Nf3 e4 7. Nfd2 Ne7 8. f3 {Der einzige Versuch, noch etwas aus der Eröffnung herauszuholen. Andernfalls kommt Schwarz zu Sf5, tauscht den Lh4 ab und steht tendenziell etwas besser.} Nf5 9. Bf2 exf3 10. Nxf3 (10. gxf3 Be7 11. Bd3 Qd8 12. Nc3 Bh4 {kann es auch schwerlich sein}) 10... Nd7 11. Bd3 Nf6 {Schwarz hat sehr schönes Spiel; die weißen Figuren wirken ein wenig durcheinandergewürfelt} *